Mit der Heimat auf Genusskurs

Interview mit Heimatgenuss-Projektleiterin Christine Klauder und HVS-Geschäftsführer Gunter Engelmann-Merkel

Frau Klauder, warum ist für Sie der Begriff Heimat ein hohes Gut und warum bringen Sie diesen in Zusammenhang mit Genuss?

Die erste Reaktion auf den Begriff HeimatGenuss ist meist Überraschung. Bislang genießen viele mitteldeutsche Zeitgenossen eher in anderen Regionen oder gar in fremden Ländern. Da setzt unsere Idee an. Wir wollen Neugier wecken auf das, was da direkt in unserer Nachbarschaft wächst und gedeiht, auf die Rückbesinnung regionaler Spezialitäten im Stall und auf dem Acker, auf phantasievolle Küche, auf handwerkliche Traditionen. Die großartige mitteldeutsche Landschaft mit naturnahen Flussläufen, mit renaturierten Seen, mit geschichtsträchtigen Kirchen, Domen, Burgen und Schlössern sowie einer wachsenden touristischen Infrastruktur tut ihr Übriges.

Andererseits muss diese Genuss-Landschaft auch funktionieren. Deshalb verstehen wir uns als Netzwerker, bringen potenzielle Partner zueinander, machen Genussregionen sichtbar, entwickeln Angebote und organisieren Events. Damit sorgen wir für mehr Aufmerksamkeit, Nachfrage und Wertschätzung für die Branchen Lebensmittelerzeugung, Gastronomie und Handel.

Und haben Sie damit auch Erfolg?

Unsere Instrumente heißen Genussradar, Heimatmenü, Heimatschaufenster und Picknicksafari. Dazu haben wir gezielt ausgezeichnete Erzeuger, Lebensmittelhandwerker, Gastronomen und Händler angesprochen und über 400 von ihnen miteinander vernetzt. Unterstützung kam da aus den kommunalen Verwaltungen, den Wirtschafts- und Handelsverbänden sowie den Tourismusvereinen. Und das funktioniert!

Erwartungen übertroffen

Alleine das Heimatmenüfestival, bei dem Gastronomen ein ganzes Menü oder ein einzelnes Gericht mit fünf regionalen Zutaten kreierten, brachte nicht nur neue Gäste, sondern auch eine größere öffentliche Wertschätzung & Wahrnehmung von mit regionalen Zutaten kochenden Topgastgebern. Durch die professionelle Begleitung mit Fotografen kamen bei uns einzelne Landgasthöfe mit ihren online perfekt präsentierten Menüs auf über 12.000 Seitenaufrufe. Zudem sprechen mehr als 40 größere Medienberichte in Presse, Hörfunk, TV und Online allein 2022 da Bände.

Waren im ersten Jahr noch 28 Restaurants mit von der Partie, schlossen sich 2022 bereits 43 an. Wir sind sicher, dass diese Aktion ein Dauerbrenner ist.

Die Bedeutung von Produktherkunft und Regionalität steigt seit Jahren kontinuierlich. Das haben viele Akteure erkannt. Was macht HeimatGenuss so besonders in der Präsentation und Vermarktung?

Nicht immer dienen Begriffe wie nachhaltig oder regional einer transparenten Käuferinformation. Wir wollten von Anfang an Ross und Reiter benennen, wollen auch die Gesichter und den Entstehungsprozess hinter den Produkten sichtbar machen. Dazu gehört, diese natürlich persönlich kennenzulernen. Als Navigationsinstrument zu allen Partnern und Angeboten dient unser Genussradar, welcher direkt zu regionalen Schätzen führt.

Welchen Stellenwert hat dabei der Handel, welches Potenzial die Kooperation mit dem Handelsverband Sachsen?

Speziell dafür entwickelten wir die Heimatschaufenster. Denn ohne leidenschaftliche Menschen im Einzelhandel, die abseits von Amazon und großen Ketten selbst für Warenauswahl, Präsentation und Beratung verantwortlich sind, fehlt ein wichtiges verbindendes Element im Genuss-Netzwerk. Wenn ein Angebot überzeugend ist und es auch seine Zielgruppen erreicht, dann steht einem Erfolg nichts im Wege. Das zeigten schon meine Erfahrungen aus früheren Aktionen, beispielsweise von speziellen Stadtgenuss-Spaziergängen zu Händlern in Leipzig, Erfurt oder Jena oder als Herausgeberin vom mitteldeutschen Genussführer, in dem ich die schönsten Geschäfte in 80 Städten aus 6 Bundesländern vorstellte, oder mein aktuelles Projekt Berliner Kiezflaneurin.

Chancen für die Innenstädte

Stadtteile, Straßen und Läden mit individuellen Angeboten vor allem von regionalen und handgefertigten Produkten können nicht nur alte und neue Zielgruppen erreichen, sondern auch zu besonderen Anziehungspunkten für Einheimische und Touristen werden. Da bietet unser Netzwerk Heimatgenuss auch für den Handelsverband Sachsen und seine Partner viele Potenziale, wie die Heimatschaufenster der letzten beiden Jahre gezeigt haben. Aber auch spezielle Pop-up-Stores, die zeitlich begrenzt Manufakturprodukte oder Erzeugnisse aus benachbarten Heimatgenuss-Regionen anbieten, können hier Lücken füllen und Interesse wecken.

Neugier ist das Zauberwort

Wie kann es gelingen, die Aufmerksamkeit für hier Kreiertes und Erzeugtes stärker zu entwickeln und Begeisterung anzufachen?

Das Zauberwort heißt weiterhin NEUGIER. Die muss dann eben auch erhalten werden. Neben der hohen medialen Aufmerksamkeit waren es vor allem unsere über 50 regionalen Events in allen sechs Heimatgenuss-Regionen, die für Aufmerksamkeit und beste Werbung sorgten. Und es wird jetzt natürlich überall überlegt, wie diese Aufmerksamkeit und auch die Neugier weiter am Kochen gehalten werden kann.

Sind wir in Mitteldeutschland auf dem richtigen Weg und wie weit liegen wir noch zurück im Vergleich mit Gegenden z. B. in Bayern und Baden-Württemberg?

Die Kleinteiligkeit in Mitteldeutschland ist Fluch und Chance zugleich. Da müssen auf der einen Seite erst – oftmals sehr aufwändig – Koalitionen über Verwaltungsgrenzen geschmiedet werden, ohne die aber die Ansprache größerer Zielgruppen medial kaum wirksam wäre. Andererseits birgt der landschaftliche Mikrokosmos einzelner Regionen auch sehr individuelle Ansätze, sorgt für Abwechslung und Überraschungseffekte, welche es für uns zu entdecken und hervorzuheben galt. Diese Idee greifen unsere Heimatgenuss-Picknicksafaris auf.

www.heimatgenuss.org